Allgemein gesprochen handelt es sich bei einer ‚ungeprüften Therapie‘ um eine Therapie, die noch keine vollständige behördliche Zulassung für eine bestimmte Anwendung erhalten hat. Der Begriff umfasst in Prüfung befindliche Therapien, die auf ihre Sicherheit und Wirksamkeit hin untersucht werden, nicht zugelassene Therapien, die diesen Prozess nicht durchlaufen haben, und ‚Compassionate Use‘ (Arzneimittel-Härtefall-Programme), ein seltener Fall, bei dem eine Therapie bestimmten Patienten zur Verfügung gestellt wird, bevor sie den Zulassungsprozess durchlaufen hat.
Was ist eine ungeprüfte Therapie?
Forschungstherapien werden in der Regel im Rahmen von klinischen Studien angeboten. Das bedeutet, dass die Informationen über die Sicherheit und Wirksamkeit des Medikaments noch geprüft werden. Therapien, die am Menschen erprobt werden, haben sich bereits in Tierversuchen als vielversprechend erwiesen. Die geplante Studie muss von mindestens einer Forschungsethikkommission genehmigt werden, bevor Teilnehmer rekrutiert werden können. Die Teilnehmer werden genau überwacht, und die Forscher sind verpflichtet, der Forschungsethikkommission und anderen Aufsichtsbehörden alle unerwarteten unerwünschten Ereignisse zu melden. Erweist sich eine Therapie als unwirksam oder ist sie mit einem unvertretbaren Risiko behaftet, wird die Studie abgebrochen. Ausführlichere Informationen über den Ablauf klinischer Studien finden Sie hier.
Der ‚Compassionate Use‘ ist ein Sonderfall, bei dem eine in Prüfung befindliche Therapie zur Behandlung einer Erkrankung eingesetzt wird, für die sie noch nicht zugelassen ist. Dieser Fall besteht, damit Therapien, die sich in der Entwicklung befinden, Patienten zur Verfügung gestellt werden können, die mit einer Krankheit leben, für die es keine geeignete, zugelassene Therapie gibt, und die nicht an klinischen Studien teilnehmen können. Er gilt nur für lebensbedrohliche, lang andauernde oder stark behindernde Erkrankungen und nur für Therapien, die sich im Prozess der klinischen Studie befinden. Der Leitfaden der Europäischen Arzneimittel-Agentur zum ‚Compassionate Use‘ ist hier zu finden. Dieser Leitfaden ist rechtlich nicht bindend, und die Gesetze zum ‚Compassionate Use‘ sind von Land zu Land unterschiedlich.
Nicht zugelassene Therapien sind Therapien, die keine klinischen Studien durchlaufen haben und für die keine klinischen Studien laufen oder geplant sind. Hersteller und Praktiker haben gegenüber keiner Aufsichtsbehörde nachgewiesen, dass die Therapie durch wissenschaftliche Beweise gestützt wird, und berichten nicht verantwortlich über die Ergebnisse ihrer Anwendung. Dies kann dadurch geschehen, dass Schlupflöcher ausgenutzt werden, unvollständige oder irreführende Daten geliefert werden oder eine Therapie weiterhin angeboten wird, obwohl sie nicht den gesetzlichen Vorschriften entspricht. Diese Therapien werden häufig von Privatkliniken und nicht von öffentlichen Gesundheitsdienstleistern angeboten und können als ‚experimentelle Behandlungen‘ beworben werden. Es ist wichtig zu wissen, dass diese Leistungen zwar in einigen Fällen legal angeboten werden, aber nicht denselben Schutzmaßnahmen unterliegen wie zugelassene Prüfbehandlungen.
Ein Hinweis zur Terminologie: In Diskussionen in den Medien und in alltäglichen Gesprächen werden die Begriffe nicht zugelassen, ungeprüft, in Prüfung befindlich und experimentell häufig synonym verwendet. Auf dieser Webseite wird der Begriff ‚Prüfbehandlung‘ für Therapien verwendet, die derzeit den Prozess der klinischen Studie durchlaufen, aber noch nicht für den routinemäßigen klinischen Einsatz zugelassen sind; der Begriff ‚nicht zugelassen‘ bezieht sich auf Therapien, die nicht im Einklang mit den Vorschriften der zuständigen Aufsichtsbehörden stehen und für die es keine veröffentlichten wissenschaftlichen Belege gibt. Aus Gründen der Klarheit werden der Oberbegriff ‚ungeprüft‘ und der potenziell unklare Begriff ‚experimentell‘ nach Möglichkeit vermieden. Wenn Sie unsicher sind, ob eine Therapie, die Ihnen angeboten wird, sinnvoll ist, fragen Sie einen vertrauenswürdigen, qualifizierten Gesundheitsdienstleister nach den Belegen.
Wie gelangen nicht zugelassene Therapien in die Klinik?
Klinische Studien sind ein wichtiger Schritt in der Entwicklung neuer Therapien, und Forscher und Gesundheitsdienstleister haben die Pflicht, das Wohlergehen der Personen zu schützen, die an ihrer Studie teilnehmen oder eine nicht zugelassene Therapie erhalten, während sie unter ihrer klinischen Aufsicht stehen. Leider nutzen einige Organisationen die Unklarheit der Begriffe ‚ungeprüfte‘ oder ‚experimentelle‘ Behandlungen aus und bieten Patienten nicht zugelassene Behandlungen an, die keine wissenschaftliche Grundlage haben. Dies kann bedeuten, dass:
- die Therapie für eine klinische Studie der Phase 1 zugelassen wurde und die Organisation weiterhin Teilnehmer für Phase 1 rekrutiert, ohne das Verfahren zu ändern, obwohl sie die Kriterien für eine Weiterführung in Phase 2 nicht erfüllt hat.
- innerhalb der wissenschaftlichen und medizinischen Gemeinschaft keine Einigkeit über die Wirksamkeit und Sicherheit einer nicht zugelassenen Therapie besteht (weil eine Krankheit selten ist oder verschiedene Studien mit unterschiedlichen Methoden durchgeführt wurden), und die Organisationen sich die Ergebnisse ‚herauspicken‘, die ihre Verwendung einer Therapie unterstützen. Verschiedene Länder in Europa haben unterschiedliche Regulierungsbehörden, und die Unterschiede in der Regulierung können heruntergespielt oder minimiert werden, um den Einsatz einer Therapie in einem anderen Kontext zu unterstützen.
- für diese Therapie keine klinischen Studien durchgeführt wurden. Diese Verfahren können legal angeboten werden, indem eine Gesetzeslücke oder eine Formalität ausgenutzt wird. So unterliegen beispielsweise in einigen Regionen Therapien, die als ‚kosmetisch‘ eingestuft werden, anderen Vorschriften und Kontrollen als Produkte, die als ‚therapeutisch‘ eingestuft werden. Es kann vorkommen, dass Organisationen eine als kosmetisch eingestufte Therapie anbieten und dabei durch irreführende Formulierungen den Eindruck erwecken, dass sie einen therapeutischen Nutzen hat.
Alle Therapien, auch wenn sie noch so gut überwacht und reguliert werden, bergen ein gewisses Risiko. Besonders vorsichtig sollten Patienten jedoch bei Therapien sein, die nicht den üblichen Sicherheits- und ethischen Anforderungen unterliegen.
Kliniken, die nicht zugelassene Therapien anbieten, bieten häufig Erfahrungsberichte von Patienten über den Erfolg des Verfahrens an und keine extern geprüften Nachweise. Es ist durchaus möglich, dass Patienten von nicht zugelassenen Behandlungen profitieren, sei es durch den Placeboeffekt oder durch echte, nicht untersuchte Wirkungen. Sie können aber auch unerwünschte Wirkungen erfahren. Dies kann besonders gefährlich sein, wenn diese Wirkungen nicht untersucht wurden und nur unzureichend bekannt sind. Ein weiteres mögliches Ergebnis ist, dass das Verfahren überhaupt keine nennenswerte Wirkung hat. Nicht zugelassene Behandlungen können Patienten davon abhalten, eine Behandlung in Anspruch zu nehmen, die ihnen eher nützen würde, sodass sich ihr Zustand in dieser Zeit verschlechtern kann.
Welche Risiken gibt es bei nicht zugelassenen Therapien?
Ziel der klinischen Studien ist es, sicherzustellen, dass eine Therapie für den Einsatz bei Patienten sicher und zweckmäßig ist, d. h., dass sie nachweislich die Lebensqualität der Patienten verbessert. Nicht zugelassene Therapien unterliegen nicht der gleichen Aufsicht und dem gleichen Schutz wie ordnungsgemäß zugelassene in Prüfung befindliche Therapien.
Ärzte, die nicht zugelassene Therapien anbieten, legen möglicherweise keiner Aufsichtsbehörde wissenschaftliche Beweise für die Wirksamkeit der Therapie vor – entweder, weil sie eine Gesetzeslücke ausnutzen, sodass sie dazu nicht verpflichtet sind, oder weil sie gegen die gesetzlichen Bestimmungen verstoßen. Aufgrund dieser fehlenden Aufsicht werden die zuständigen Behörden nicht informiert, wenn sie unerwartete und schwerwiegende Sicherheitsprobleme entdecken oder wenn sich herausstellt, dass die Therapie nicht zur Linderung der Symptome oder zur Verbesserung der Lebensqualität beiträgt.
Nicht zugelassene Therapien müssen nicht zwangsläufig einer ethischen Prüfung unterzogen werden, oder sie nutzen Regelungslücken, um diese zu umgehen. Viele wirksame Therapien werden unerwünschte Nebenwirkungen haben oder das Leben der Patienten und ihrer Betreuer beeinträchtigen. Eine der Aufgaben der Ethikkommission besteht darin, den potenziellen Nutzen gegen mögliche negative Folgen abzuwägen und zu entscheiden, ob die Risiken und Nebenwirkungen in einem angemessenen Verhältnis zum potenziellen Nutzen stehen. Unvorhergesehene unerwünschte Ereignisse oder Nebenwirkungen werden der Kommission gemeldet, die dann berät, ob eine in Prüfung befindliche Therapie zum Wohle des Patienten abgebrochen werden sollte.
Ohne eine behördliche und ethische Aufsicht liegen diese Entscheidungen im Ermessen des einzelnen Arztes oder der Klinik. Die Kliniken sind nicht verpflichtet, über ihre Ergebnisse zu berichten oder sie zu veröffentlichen. Dies bedeutet, dass es für die wissenschaftliche Gemeinschaft schwierig ist, ihre Ergebnisse zu bewerten und zu bestätigen, ob sie repliziert werden können. Auch für Patienten und Betreuer ist es schwierig, unparteiische Informationen über die Sicherheit oder Erfolgsrate einer Therapie zu finden, die sie in Erwägung ziehen.
Reisen für den Zugang zu einer Behandlung
Nicht alle Gesundheitsdienste sind für die Behandlung seltener Krankheiten ausgerüstet, und nicht alle von der EMA zugelassenen Therapien sind in allen EU-Ländern verfügbar. Die Patienten können daher in Erwägung ziehen, für eine Behandlung in ein anderes Land als ihr Heimatland zu reisen.
Europäische Referenznetzwerke
Für einen Patienten mit einer seltenen oder komplexen Krankheit kann es schwierig sein, einen Gesundheitsdienstleister mit entsprechender klinischer Expertise zu finden. Um dieses Problem zu lösen, hat die EU 2017 Europäische Referenznetzwerke (ERN) eingerichtet. Dabei handelt es sich um Netzwerke von Einrichtungen und Gesundheitsdienstleistern. Sie sind grenzüberschreitend organisiert und erleichtern den Austausch von Wissen, Ressourcen und Expertise in der gesamten EU. Ziel ist es, die Versorgung von Menschen, die mit seltenen Krankheiten leben, zu verbessern.
Nach einer EU-Richtlinie aus dem Jahr 2011 haben EU-Bürger in bestimmten Fällen das Recht, in andere EU-Länder zu reisen, um sich dort medizinisch versorgen zu lassen und die Kosten erstattet zu bekommen. Die ERN sind von dieser Richtlinie erfasst. Ihr Gesundheitsdienstleister kann mit Ihnen besprechen, ob eine Reise für eine Behandlung in Ihrem Fall in Frage kommt und was dies logistisch für Ihre künftige Versorgung bedeutet, wenn Sie dies tun. Die Entscheidung wird auf der Grundlage des Fachwissens der ERN getroffen, letztlich aber zwischen Ihnen und Ihrem Arzt.
Andere Reisen für Behandlungen
Wenn Sie in ein anderes Land reisen, um an einer klinischen Studie teilzunehmen, um eine nicht genehmigte/nicht zugelassene Therapie zu erhalten oder um eine in einem anderen Land zugelassene Therapie zu erhalten – zum Beispiel in die Vereinigten Staaten von Amerika für eine von der FDA (Food and Drug Administration), aber nicht von der Europäischen Arzneimittel-Agentur zugelassene Therapie –, empfehlen wir Ihnen, diese Entscheidung mit Ihrem Berater vor Ort zu besprechen. Es ist wichtig, dass Sie wissen, welche Nachsorge Sie in Ihrem Heimatland in Anspruch nehmen können. Für Ihre Gesundheitsfürsorge ist es auch wichtig, dass Ihr Arzt über alle anderen Behandlungen informiert ist, die Sie erhalten, damit er Ihnen die bestmögliche Behandlung zukommen lassen kann.
‚Off-Label‘-Therapien
Der Begriff ‚Off-Label‘-Verwendung bedeutet, dass eine für einen bestimmten Zweck zugelassene Therapie zur Behandlung einer anderen Erkrankung eingesetzt oder auf eine nicht zugelassene Weise verabreicht wird. So werden beispielsweise Betablocker, ein zur Behandlung von Bluthochdruck zugelassenes Medikament, häufig zur Behandlung von Angstzuständen verschrieben, wofür sie nicht speziell zugelassen sind. Die Off-Label-Verwendung gilt nicht als eine Form der nicht zugelassenen Therapie, da die Sicherheit und Wirksamkeit der Therapie in klinischen Studien nachgewiesen und ihre Anwendung von den zuständigen Regulierungsbehörden genehmigt wurden.
Ein Arzneimittel kann im Rahmen der Behandlung eines Patienten nach dem Ermessen des verordnenden Arztes ‚Off-Label‘ verschrieben werden. Einige Produkte können lange Zeit im Off-Label-Bereich verwendet werden, bevor diese Verwendung in einer formellen klinischen Studie untersucht wird. Diese Off-Label-Verwendung kann daher durch wissenschaftliche Belege (z. B. Fallberichte) gestützt werden, auch wenn zu diesem Zweck keine klinischen Studien durchgeführt werden.
Ärzte können nach eigenem Ermessen ein Arzneimittel für einen Off-Label-Zweck verschreiben. Einige Produkte können lange Zeit für den Off-Label-Einsatz verwendet werden, bevor eine formelle klinische Studie zu dieser Verwendung durchgeführt wird. Möglicherweise gibt es wissenschaftliche Belege für die Off-Label-Verwendung (durch veröffentlichte Fallstudien usw.). Wenn Sie Bedenken haben, dass Ihnen ein Produkt für eine Off-Label-Verwendung angeboten wird, sollten Sie dies mit einem vertrauenswürdigen Mitglied Ihres Gesundheitsdienstleisters besprechen.